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Treffpunkt - Buluşma Noktası

Türkische und deutsche Kultur im Dialog

Şara Sayin

Sara SayinLange bevor Fatih Akin seinen fiktiven Germanistikprofessor Nejat die deutsche Buchhandlung in Istanbul gleich ganz übernehmen ließ, war die Istanbuler Germanistikprofessorin Şara Sayın bereits Kundin bei Mühlbauer. Und lange davor hatte es gleich zwei deutschsprachige Buchhandlungen in Istanbul am Tünel gegeben – „Caron“ und „Kalis“.

Şara Sayın, Absolventin der Deutschen Schule im Jahr 1943, erinnert sich: „Von den meisten Lehrern wurden wir angehalten, unsere deutschen Bücher bei Kalis zu kaufen und nicht bei Caron, denn deren Eigentümer war Jude.“ Das Geschäftsleben dieses Viertels war von den großen Minderheiten der Stadt geprägt, vor allem den damals größten, der griechischen, der armenischen sowie der jüdischen Minderheit und „…die İstiklal war damals eine mehrsprachige Straße“, sagt Şara Sayin. Doch der Nationalsozialismus warf mindestens seine Schatten auch auf die deutsche Bildungseinrichtung am Bosporus.

Şara Sayıns gesamte achtjährige Gymnasialzeit an der Deutschen Schule fiel in die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland – und dennoch: „Trotzdem habe ich an dieser Schule von jenen deutschen Lehrern, die keine Faschisten waren, anhand der Literatur gelernt, dass man Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen darf.“ Unter anderem von der Erfahrung mit diesen Lehrern ging für sie der Impuls aus, Germanistik zu studieren.

Inzwischen ist Şara Sayın seit über 20 Jahren emeritiert und ihr wissenschaftliches Interesse gilt nicht mehr allein der Literatur. Heute beschäftigt sie sich mit Fragen von Hybridität in Bezug auf kulturelle Indentitäten – ob man sich in eine kulturelle Schublade einordnen lässt und diese dann obendrein vielleicht noch selber von innen zuzieht oder ob man als Persönlichkeit nicht das Resultat vieler, möglicherweise widersprüchlicher Einflüsse ist. „Identität ist dem Menschen nicht in die Wiege gelegt,“ sagt sie.

Bosporusufer und BosorusbrückeDie so titulierten „Deutsch-Türken“ oder „Deutschen mit Migrationshintergrund“ oder „türkischstämmigen Mitbürger“ oder welches Etikett wir auch gerade gebrauchen, denen der deutsche Staat nach wie vor das Naheliegenste beharrlich verweigert, nämlich die Möglichkeit der Doppelten Staatsbürgerschaft, die Anerkennung der Hybridität ihrer Identität, fallen mir dabei als bedeutendes Beispiel ein. Seit der spätere Ministerpräsident von Hessen, Roland Koch, in seinen ersten Wahlkampf mit einer Kampagne gegen die damals durchaus positiv diskutierte Doppelte Staatsbürgerschaft „erfolgreich“ war, ist dieses Thema leider vom Tisch. Dabei wäre das ein echtes Zeichen von Integrationsbereitschaft auf Seiten der deutschstämmigen Mitbürger in Deutschland – dieses Bekenntnis zur Hybridität unserer Gesellschaft. Für Şara Sayın ist das nicht nur eine gesellschaftspolitische Fragestellung, sondern Teil der Auseinandersetzung mit „Dichotomien“ – dieser Zweiteilung der Welt in „Entweder-Oder“, die das westliche Denken so nachhaltig prägt.

Zwischen ihrer Schulzeit und Heute liegt ein Leben als kulturelle Brückenbauerin par excellence: Als Inhaberin des „Lehrstuhls für Deutsche Sprache und Literatur“ an der Istanbul Universität, gründete sie an der Hochschule für Fremdsprachen die Abteilung „Deutsch als Fremdsprache“. Sie saß im Türkisch-Deutschen Kulturbeirat und war bereits in den 1980er Jahren als Expertin maßgeblich involviert in den ersten Anlauf zur Gründung einer Deutsch-Türkischen Universität, der damals dann leider von den staatlichen Seiten nicht weiter verfolgt wurde.In einem späteren Anlauf erfolgte dann im Jahr 2010 immerhin eine Universitäts-Gründung.

Şara Sayın wurde mit dem Bundesverdienstkreuz sowie für „die Pflege der deutschen Sprache im Ausland“ mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. Den Friedrich-Gundolf-Preis verlieh ihr die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung „für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland“.

Auch wenn viele ihrer ehemaligen Studenten inzwischen pensioniert oder emeritiert sind, ist Şara Sayın unverändert wichtige Gesprächspartnerin für viele von ihnen sowie für zahlreiche Autoren beider Sprachen. Von ihrem Haus hoch über dem Bosporus schweift der Blick weit zwischen europäischem und asiatischem Ufer. In ihrem Arbeitszimmer, wo sie ihre Besucher emfängt, sitzt Şara Sayın, von den beiden Katzen Yunus und Cankut flankiert, tatsächlich auf einer Art „west-östlichem Divan“ … Und nicht nur der Blick schweift hier zwischen „Orient und Okzident“, den vermeintlichen Gegensätzen, über die bereits der Namenspatron der deutschen Kulturinstitution Nummer Eins im Ausland den berühmten Satz notierte, „… Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“

Datum

Donnerstag, 27.09.2012 | 16:35

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